Konrad Püschel
Als Praktikant auf der Bernauer Baustelle
Mit der ADGB-Bundesschule in Bernau konnte Hannes Meyer seine Idealvorstellung davon verwirklichen, wie Lehre und Praxis am Bau vereint werden können. Dazu gehörte nicht nur die Beteiligung von Bauhaus-Studenten an der Planung des Bauensembles, sondern auch die Beschäftigung von Studenten am Bauvorhaben selbst. Konrad Püschel war einer von ihnen. Im Frühjahr/Sommer 1929 arbeitete er auf der Bernauer Baustelle als Maurer- und Zimmermannspraktikant.
Im November 1926 hatte Püschel mit seinem Studium am Bauhaus in Dessau begonnen. Nach dem pflichtmäßigen Vorkurs studierte er Malerei bei Paul Klee und Wassily Kandinsky, gefolgt von Fotografie bei László Moholy-Nagy. Zudem wirkte er in der Bühnenwerkstatt von Oskar Schlemmer mit. 1927 startete er erst in der Tischlerei unter der Leitung von Marcel Breuer sowie schließlich im Architekturkurs von Hannes Meyer, der für die kommenden Jahre sein Mentor werden sollte. Am ersten gemeinschaftlichen Bauprojekt des Bauhauses unter Hannes Meyer, dem Bau der Laubenganghäuser in Dessau, arbeitete Püschel unter anderem mit seinen Kommilitonen Philipp Tolziner, Béla Scheffler und Hubert Hoffmann zusammen. Sie analysierten das Baugrundstück und die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner der Laubenganghäuser und machten mit dieser Arbeit einen entscheidenden Schritt in Richtung sozialer Wohnungsbau.
Als Hannes Meyer den Zuschlag für den Bau der ADGB-Bundesschule in Bernau-Waldfrieden bekam, war Püschel auch hier mit von der Partie. In einem mehrwöchigen Praktikum auf der Baustelle baute er eine innige Beziehung zu dem ruhigen Waldstück auf und verlängerte seine Zeit in Bernau. In einem Brief an seine zukünftige Ehefrau Lieselotte schwärmte er von der idyllischen Lage des Schulneubaus: „Unsre Baustelle liegt mitten im Wald an einem kleinen See. Eine Stund von der Stadt entfernt. Für mich ist es die beste Sommerfrische. Die Sonne u. die gute Waldluft haben mich ganz braun gebrannt […].“ Es täte ihm gut, mal die „Bauhauskrankheit“ loszuwerden, so Püschel in einem anderen Brief an seinen Freund Walter Tralau. Immer wieder betonte Püschel, wie viel er auf der Bernauer Baustelle lernen würde. Nicht zuletzt deshalb entschied er sich dann auch schließlich, sein Praktikum in den Sommer hinein zu verlängern: „Ich will den Sommer über noch in Bernau bleiben, denn was ich hier lerne [,] kann mir das Bauhaus nicht in 8 Semestern geben. Hier bekomme ich erstmal einen Kontakt zum Bau.“ Im Nachhinein sollte Püschel in sein Tagebuch notieren: „Diesen Sommer hab ich auf diesem Bau eine herrliche Zeit erlebt, die mich von Grund auf erfrischt u. erneut hat. Jedem Bauhäusler wünsche ich solche Tage.“
Die persönliche und bildliche Beschreibung der Arbeit auf der Baustelle der ADGB-Bundesschule wie in Konrad Püschels Briefen und seinem Tagebuch (beide im Archiv der Stiftung Bauhaus Dessau erhalten) ist einzigartig. Es sind zwar zahlreiche Erinnerungsberichte von Gewerkschaftern, die sich zu Schulungen in Bernau aufhielten, erhalten; Notizen von Bauhäuslern sind dagegen eine echte Rarität.
Konrad Püschels Weg führte ihn gemeinsam mit Hannes Meyer und sechs weiteren Bauhaus-Studenten der Architekturklasse (Philipp Tolziner, Béla Scheffler, Tibor Weiner, Réne Mensch, Klaus Meumann und Antonin Urban) 1930/31 erst einmal nach Moskau. Sie bezeichneten sich als „Rote Bauhausbrigade“ und lebten zusammen in einer Art kleiner Kommune. Als Architekten der Moderne wollte sie Fuß fassen, eingeladen von Stalin, diese neuartige Bauweise mit Bezug zum Menschen in der Sowjetunion zu etablieren. Sie arbeiteten im Auftrag der Regierung an Schulbauten, nur wenige von ihnen wurden schließlich auch gebaut. Nach einem Urlaub zu Hause kehrte Püschel 1932 gemeinsam mit seiner Lieselotte zurück nach Moskau; dort heirateten sie 1933. Als Stalin seine Meinung Mitte der 1930er-Jahre änderte und nun moderne Architekten zum Feindbild auserkoren worden waren, ging Hannes Meyer zurück in die Schweiz und schließlich nach Mexiko, die Püschels zurück nach Deutschland. Einige Mitglieder der Bauhausbrigade blieben und überlebten ihre Internierung im Gulag nicht (wie Antonin Urban) oder verschwanden (wie Klaus Meumann).
Während des Zweiten Weltkriegs fand Püschel eine Anstellung bei Alfred Arndt, ein ehemaliger Bauhaus-Student und späterer Leiter der Ausbauwerkstatt am Bauhaus, als Hannes Meyer Direktor am Bauhaus war. Püschel entwarf unter anderem das Wohnhaus der Bauhaus-Weberin Margaretha Reichardt in Erfurt, das heutige Margaretha Reichardt Haus. 1940 wurde er von der Wehrmacht eingezogen und nach Nordafrika und schließlich an die Ostfront entsandt. Nach seiner Inhaftierung durch die Sowjets kam er 1947 zurück nach Hause, er wog nur noch 40 Kilogramm.
Und auch jetzt fand er abermals Hilfe bei einem seiner ehemaligen Bauhaus-Kommilitonen. Gustav Hassenpflug, der als Professor für Stadtplanung an der Hochschule für Architektur und Bauwesen (der heutigen Bauhaus-Universität Weimar) unterrichtete, verhalf ihm zu einer Assistenzstelle. 1960 gründete Püschel die Fakultät für Dorfplanung, die er bis zu seiner Pensionierung 1972 leitete. Als die DDR zwischen 1955 bis 1962 Nordkorea Hilfe beim Wiederaufbau der durch die Amerikaner im Koreakrieg zerstörten Städte Hamhŭng und Hŭngnam zugesichert hatte, wurde Püschel der Hauptplaner der Arbeitsgruppe.
Sein Leben lang blieb Konrad Püschel seiner Zeit am Bauhaus in Dessau eng verbunden. Anfang der 1970er-Jahre erkannte die DDR zahlreiche Bauhausbauten als Zeitdokumente an und ernannte sie zu Denkmalen, darunter die ADGB-Bundesschule und das Bauhaus in Dessau. Was mit der Sanierung und Teilrekonstruktion in Bernau erst in den frühen 2000er-Jahren gelang, konnte in Dessau bereits Mitte der 1970er-Jahre umgesetzt werden. Die Instandsetzung der einstigen Galionsfigur der modernen Architektur, das Bauhausgebäude von Walter Gropius selbst, machte Konrad Püschel unter seiner Leitung zum Erfolgsprojekt.